Nachhaltigkeit in der Mathematiklehre – auch in den Ingenieurwissenschaften machbar? Drei Impulse für den Einstieg

Mathematik als Schlüsselkompetenz für nachhaltige Entwicklung

Nachhaltigkeit ist längst kein Thema mehr nur für Umweltstudiengänge oder die Sozialwissenschaften. Auch ingenieurwissenschaftliche Disziplinen stehen vor der Herausforderung, nachhaltige Lösungen zu entwickeln – ob im Maschinenbau, in der Elektrotechnik, der Bauplanung oder der Fahrzeugtechnik. Und das beginnt nicht erst im Projektlabor – sondern bereits in der Grundlagenlehre, etwa in der Mathematik.

Doch wie kann ich als Mathematik-Lehrende:r das Thema Nachhaltigkeit sichtbar machen, ohne meine gesamte Lehre umzustellen?

Die gute Nachricht: Schon kleine Impulse reichen aus, um Studierende für nachhaltiges Denken zu sensibilisieren – auch (und gerade) in stark formalisierten Lehrveranstaltungen.

Warum Mathematik für nachhaltige Entwicklung unverzichtbar ist

In den Ingenieurwissenschaften ist Mathematik das zentrale Werkzeug, um technische Systeme zu modellieren, zu berechnen und zu optimieren. Und genau hier liegt der Schlüssel:

  • Wer Nachhaltigkeit ernst nimmt, muss Systeme ganzheitlich denken – mit Zielkonflikten, Unsicherheiten, Wechselwirkungen.
  • Mathematik schafft die Grundlage für Entscheidungen, die soziale, ökologische und ökonomische Folgen haben, da das Fach das Lesen und Verstehen von Daten in verschiedenen Handlungsfeldern ermöglicht und somit die Auseinandersetzung um Nachhaltige Entwicklung und globale Zukunftsfähigkeit wissenschaftlich fundiert (Globale Entwicklung. Teilausgabe Mathematik.).
  • Ob bei der Wahl eines Werkstoffs, der Berechnung von Lasten oder der Optimierung eines Energieverbrauchs: Mathematische Modelle bestimmen die Richtung.

Niedrigschwellige Impulse für Ihre Mathematiklehre

Praxisbeispiele anpassen – Nachhaltigkeit sichtbar machen

Klassische Aufgaben zur Optimierung oder Wahrscheinlichkeitsrechnung lassen sich mit kleinen Änderungen in nachhaltigkeitsrelevante Kontexte überführen.

Falleispiele in der Mathematik:

  • Maschinenbau: Energieoptimierung nicht nur zur Effizienzsteigerung, sondern zur Emissionsreduktion modellieren.
    • Z.B. Indem statt „Kosten“ oder „Leistung“ die „CO₂-Emissionen“ als Zielgröße verwendet werden, verändert sich der Blick auf technische Systeme. Studierende lernen, dass mathematische Modelle nicht neutral sind, sondern bewusst gewählte Bewertungsmaßstäbe abbilden.
  • Bauingenieurwesen: Tragwerksplanung unter Berücksichtigung des Nachhaltigen Bauens[1].
    • Bei gleicher Tragfähigkeit kann z. B. die Umweltbelastung durch verschiedene Materialien mathematisch abgeschätzt werden. Das fördert nicht nur technische Urteilsfähigkeit, sondern auch die Kompetenz zur Bewertung ökologischer Alternativen.
  • Elektrotechnik: Energieflüsse bei regenerativen Quellen analysieren statt beim klassischen Kraftwerk.
    • Mathematische Modelle können genutzt werden, um die Einspeisung und Fluktuation erneuerbarer Energien zu simulieren. Damit verstehen Studierende früh, welche Herausforderungen und Potenziale nachhaltiger Energiesysteme mit sich bringen.

Weitere Anregungen:

1. Verfahrenstechnik: Stoffstrom-Bilanzen unter Nachhaltigkeitsaspekten analysieren
Beispielhafte Aufgaben können den Wasser- oder Energieverbrauch in verschiedenen Prozessvarianten vergleichen. So erkennen Studierende, wie mathematische Modellierung zur Bewertung ökologisch günstiger Prozessführungen beitragen kann.

2. Verkehrsplanung: Optimierung von Verkehrsflüssen unter Berücksichtigung von CO₂-Emissionen
Anstelle reiner Zeit- oder Kostenoptimierung lässt sich ein Nachhaltigkeitsfaktor (z. B. Emissionen pro Kilometer) als neue Zielgröße einführen. Damit erleben Studierende direkt, wie alternative Zielfunktionen nachhaltige Entscheidungen in der Planung verändern können.

3. Ressourcenmanagement: Lineare Programmierung zur Rohstoffverwendung mit Recyclinganteil
Eine klassische Optimierungsaufgabe kann erweitert werden, indem zusätzlich recycelte Materialien berücksichtigt und bevorzugt werden. Dies verdeutlicht die Rolle mathematischer Modelle bei der Entwicklung von Kreislaufwirtschaftsstrategien.

Reflexionsimpulse: Was sagt ein Modell – und was nicht?

Ingenieurmathematik ist oft hochformalisiert. Doch genau hier liegt eine Chance: Mit kleinen Reflexionsimpulsen können Studierende lernen, kritisch mit Modellen umzugehen.

Fragen, die Sie einbauen können:

  • Welche Annahmen stecken in diesem Modell?
  • Welche Aspekte der Realität werden ausgeblendet?
  • Wie beeinflussen Zielgrößen (z. B. „Kosten“ vs. „Umweltbelastung“) die mathematische Lösung?

Ein kurzer Austausch in der Übung oder eine Denkfrage am Ende reicht oft, um ein Bewusstsein für Modellgrenzen und Entscheidungskontexte zu schaffen.

Lehrpraxis nachhaltig gestalten

Auch unabhängig vom Lehrinhalt kann nachhaltiges Handeln sichtbar werden:

  • Aufgaben digital statt gedruckt bereitstellen
  • Projekte mit Open Data oder öffentlich zugänglichen Datenbanken arbeiten lassen
  • Studierende ermutigen, eigene Anwendungsbeispiele mit Nachhaltigkeitsbezug einzubringen
  • In Projektaufgaben Aspekte wie Ressourcenschonung, Effizienz oder Lebensdauer thematisieren

Nachhaltigkeit ist oft eine Frage der Haltung – und kleine Gesten machen sie sichtbar.

Anbindung an das Framework der FH Aachen

Mit diesen Maßnahmen greifen Sie zentrale Dimensionen des hochschulweiten Frameworks auf:

  • Nachhaltigkeit als Querschnittsthema curricular sichtbar machen
  • Kompetenzen im systemischen Denken und kritischer Reflexion stärken
  • Ingenieurwissenschaften gezielt weiterentwickeln – für eine zukunftsfähige Lehre

Der Beitrag liegt nicht in der Neugestaltung ganzer Module, sondern in der bewussten Gestaltung von Beispielen, Aufgaben und Kontexten.

Lust auf mehr? Das ZHQ unterstützt Sie!

Sie möchten Nachhaltigkeit stärker in Ihre Mathematiklehre integrieren – wissen aber nicht, wo Sie anfangen sollen?
Imke Minrath vom ZHQ steht Ihnen beratend zur Seite: mit Beispielen, Gesprächen oder Ideen aus anderen Fachbereichen.

Kontakt: [email protected]


[1] Nachhaltig bauen bedeutet nicht nur Materialien und Emissionen zielgerecht einzusetzen, sondern auch einen ganzheitlichen Ansatz zu verfolgen, der die Ressourcen unseres Planeten berücksichtigt. Quelle: Nachhaltigkeit als Bestandteil integraler Tragwerksplanung.

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Imke Minrath
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3 Kommentare

Das ist ein wirklich augenöffnender Artikel, der konkrete Besipiel gibt und gleichzeitig daran die Wirkung einer Perspektivenveränderung veranschaulicht-toll!

Wahrscheinlich hätte ich mehr Spaß an Mathe gehabt bei solchen Bezügen. Ein gutes Beispiel dafür „Alles“ aus der Ökologie-Perspektive zu sehen – wir sind abhängig davon.

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