Welche Anpassungen sind notwendig?
Generative KI macht deutlich, dass nicht nur die Betreuung, sondern insbesondere die Bewertungskriterien und Prüfungsformate von Abschlussarbeiten auf den Prüfstand gehören. Bisher wurde vor allem das schriftliche Endprodukt, also die Bachelor- oder Masterarbeit, benotet. Doch wenn KI-Tools mitgewirkt haben, stellt sich die entscheidende Frage, ob die Note noch das tatsächliche Können der Studierenden widerspiegelt. Ein sprachlich und auch methodisch-fachlich hervorragender Text bedeutet durch aktuelle KI-Hilfe nicht zwingend tiefergehendes Verständnis. In Teil 1 der Serie haben wir bereits festgestellt, dass es keine realistische Möglichkeit einer sicheren Überprüfung der eigenständigen Schreibleistung bei Hausarbeiten gibt.
Dieser Beitrag basiert auf den Erkenntnissen eines Workshops an der FH Aachen unter der Leitung von Patricia Wohner. In diesem haben Lehrende und Mitglieder von Prüfungsausschüssen konkrete Lösungsansätze entwickelt, um Abschlussarbeiten an die Herausforderungen generativer KI anzupassen.
Wie können Prüfungsformate künftig aussehen? Der Workshop lieferte hierzu konkrete Vorschläge.
Neue Bewertungsschwerpunkte setzen
Argumentationsqualität & Analysefähigkeit
Eine präzise Bewertung von Argumentationsqualität und Analysefähigkeit verlangt klare Kriterien, die über die reine sprachliche Korrektheit hinausgehen. Zentrale Elemente sind eine logische und nachvollziehbare Struktur, fundierte Begründungen und Quellen sowie eine kritische und eigenständige Auseinandersetzung mit dem Thema. Wichtig ist auch die Transparenz methodischer Entscheidungen. Allerdings sollten diese Kriterien nicht ausschließlich schriftlich verlangt werden, da KI-Modelle gerade in diesen Bereichen bereits zunehmend gute Ergebnisse liefern.
Statt primär Stil und Formalia zu bewerten, könnte Eigenständigkeit stärker gewichtet werden, indem eigene Ideen kenntlich gemacht und bewertet werden. Reflexionsfähigkeit sollte ebenso ein wichtiges Kriterium sein: Wird der KI-Einsatz transparent gemacht und kritisch hinterfragt? Wird die Qualität der Quellenrecherche überprüft, um ungeprüfte KI-Ausgaben zu vermeiden? Konkrete Leitfragen helfen bei der Bewertung, exemplarisch: „Welche eigenen Beiträge hat die Studierende geleistet und wie werden diese von KI-Ergebnissen abgegrenzt?“ oder „Zeigt die Arbeit eine kritische Auseinandersetzung mit von der KI gelieferten Inhalten?“. Einige Fakultäten bewerten bereits zusätzlich den Arbeitsprozess selbst, indem sie Einblick in Laborbücher oder Entwurfsdokumente nehmen.
Reflexion & Methodentransparenz
Hochschulen passen bereits Beurteilungsraster an, indem sie explizit Reflexionsfähigkeit und Methodentransparenz einfordern. Studierende sollen z.B. kritisch reflektieren, wie KI ihre Ergebnisse beeinflusst hat, und offenlegen, welche Hilfsmittel verwendet wurden. In Teil 2 der Serie wurde skizziert, wie das in einem formativen Assessment stattfinden könnte.
Alternative Prüfungsformate nutzen
Erhöhung des Anteils an nicht-schriftlichen oder Präsenzprüfungen
Prüfungsausschüsse erwägen, mündliche Prüfungen und Kolloquien stärker zu gewichten oder verpflichtend zu machen, um tatsächliche Kompetenzen besser erfassen zu können. Im Zeitalter der KI gewinnt die mündliche Verteidigung der Arbeit zunehmend an Bedeutung. Kolloquien sollten kompetenzorientiert gestaltet sein und gezielt Fragen zu Themenverständnis, methodischen Entscheidungen, KI-Einsatz, Eigenständigkeit und Originalität umfassen. Fragen könnten z.B. sein: „Erklären Sie Ihre methodischen Entscheidungen“, „Beschreiben Sie Ihren KI-Einsatz“, oder „Wie haben Sie die von KI vorgeschlagenen Quellen auf Qualität geprüft?“. Diese Praxis fördert Eigenleistung, da Studierende ihre Entscheidungen überzeugend erläutern müssen.
Begleitende Reflexionsformate
Möglich wären alternative Prüfungsleistungen wie ein begleitendes Essay, das die KI-Nutzung reflektiert, oder Präsentationen über die Arbeitsprozesse in der Co-Existenz mit der KI. Eine Möglichkeit wäre es die Prompt-Historie mit dem Chatbot zu reflektieren. Diese Selbstoffenlegung wird nicht sanktioniert, sondern dient der Transparenz. Die Erfahrung zeigt, dass viele Studierende durchaus bereit sind, ehrlich Auskunft zu geben, wenn sie dafür nicht bestraft werden – und dass Lehrende anhand dieser Angaben besser einschätzen können, wie viel Eigenleistung im Text steckt.
Exkurs: Warum Dokumentieren statt Zitieren
Anhand des Vortrags: Dokumentation in Zeiten von KI: KI zitieren – reicht das aus?
Warum reines Zitieren nicht ausreicht
KI-Tools generieren anhand von Trainingsdaten probabilistisch, ohne nachvollziehbaren Bezug zu konkreten Quellen. Klassische Zitationsstile behandeln KI als Quelle, doch für die wissenschaftliche Arbeit ist entscheidend:
- Nachvollziehbarkeit von Ideen und Ursprüngen,
- Abgrenzung von Eigen- und Fremdleistung, und
- Förderung wissenschaftlicher Praxis und Reflexion.
Das reine Zitieren deckt diese Anforderungen nicht ab.
Dokumentation als Lösung
Statt zu zitieren, sollten Studierende ihren KI-Einsatz dokumentieren, um die eigene Leistung transparent zu halten. Dies kann helfen, den KI-Einsatz reflektiert und zielgerichtet in die eigene Arbeit zu integrieren. Dokumentationsmethoden reichen dabei von einfach bis komplex.
Welche Methode gewählt wird, sollte sich am Lehr- und Prüfungsziel orientieren. Reflexion und Dokumentation sollten als Teil der Prüfungsleistung berücksichtigt werden, um zeitlichen Mehraufwand fair zu behandeln.
Dokumentation statt bloßem Zitieren schafft Transparenz und schützt wissenschaftliche Integrität im Umgang mit KI in Abschlussarbeiten. Sie ermöglicht Studierenden, die eigene Leistung sichtbar zu halten, den KI-Einsatz kritisch zu reflektieren und dabei die Möglichkeiten generativer KI verantwortungsvoll zu nutzen.
Klare Richtlinien und Kommunikation etablieren
Jeder Fachbereich sollte möglichst zeitnah Grundsatzentscheidungen zum Umgang mit generativer KI treffen. Einheitliche Regeln schaffen Fairness und Orientierung – sowohl für Studierende als auch für Prüfende. Empfehlenswert ist ein „Erweiterter Ehrenkodex“, in dem Studierende offenlegen, welche KI-Tools sie genutzt haben und wofür. Hochschulen sollten Mustertexte für KI-Eigenständigkeitserklärungen bereitstellen und frühzeitig transparent kommunizieren, ob und wie KI eingesetzt werden darf, um Klarheit zu schaffen und Missverständnissen vorzubeugen. Hier können Dokumentationstools, wie ai usage cards, ein schneller und standardisierter Weg sein.

Transparenz
Muss KI-Output, den man übernimmt, zitiert werden oder reicht die generelle Angabe im Anhang? Hier sollten Fachbereiche bzw. Prüfende passende Lösungen finden und diese transparent kommunizieren. Lehrende sind gut beraten, gleich zu Beginn offen mit Studierenden zu besprechen, ob und wie KI in ihrer Veranstaltung/Abschlussarbeit genutzt werden darf. Ein kurzer Hinweis im Modulhandbuch oder in der ersten Sitzung („In diesem Thesis-Seminar ist der Einsatz von KI-Tools erlaubt, solange…“) schafft Klarheit und beugt Missverständnissen vor.
Akademische Integrität & Transparenz – Offenlegung der KI-Nutzung
Die Nutzung generativer KI wirft grundlegende Fragen zur akademischen Integrität auf: Muss KI-generierter Inhalt zitiert oder zumindest offengelegt werden? Hochschulen reagieren darauf, indem sie Eigenständigkeitserklärungen erweitern. Beispielsweise empfiehlt die Universität Hohenheim, jeden Arbeitsschritt, bei dem KI genutzt wurde, explizit zu dokumentieren. Studierende müssen schriftlich bestätigen, dass sie KI-generierte Inhalte eigenverantwortlich auf Korrektheit geprüft haben. Es gilt zu verhindern, dass KI-generierte Texte unkritisch als eigene Leistungen ausgegeben werden.
Neue Integritätsmaßstäbe etablieren
Eine offene Kommunikationskultur hilft, heimliche Nutzung zu vermeiden. Lehrende sind gefordert, vertrauensbildende Maßnahmen zu schaffen und neue Maßstäbe für Integrität zu definieren.
Fazit: Ein einfaches „Weiter so“ ist keine Lösung mehr. Stattdessen braucht es flexible, transparente und integritätsfördernde Bewertungskriterien und Prüfungsformate, die auf die Realität generativer KI reagieren.

Christoph Horst
> Koordination Digitalisierungsoffensive Lehren & Lernen der FH Aachen
> Fachlehrender im Fachbereich Chemie und Biotechnologie