KI-Assistenz im Laborpraktikum: Wie ein spezialisierter Chatbot forschendes Lernen stärkt

In einem Labor-Praktikum wurde ein KI-Chatbot eingeführt, der Studierende bei anspruchsvollen Labormethoden unterstützt – mit positiven Effekten auf Selbstständigkeit, Reflexion und Fachkompetenz. Lehrende anderer Fächer können daraus konkrete Impulse für die eigene Lehre mitnehmen. Die hier dargestellten Erfahrungen und das Konzept wurden wissenschaftlich aufgearbeitet und veröffentlicht: „Modernisierung von MINT-Praktika durch GenKI – Zugang zum forschenden Lernen?“, abrufbar unter https://doi.org/10.21240/zfhe/SH-KI-2/04.

Chatbot im Labor – gezielt statt generalistisch

Beitrag von Christoph Horst, Fachbereich Chemie und Biotechnologie

In unserem Biochemie-Praktikum im Studiengang Biotechnologie stehen Studierende vor einer Herausforderung: Sie entwickeln eine eigene Forschungsfrage, planen individuelle Versuche, führen sie durch und dokumentieren die Ergebnisse wissenschaftlich. Um diesen forschenden Lernprozess zu begleiten, haben wir mehrere spezialisierte KI-Chatbots als digitale Assistenten für das Laborpraktikum entworfen, von vielen Studierenden genutzt und die diese anschließend detailliert evaluiert. Nicht alle Chatbots haben den erhofften Unterstützungseffekt gezeigt, letztendlich hat sich jedoch die Erfahrung daraus als nützlich erwiesen und konnten daraufhin einen besonders hilfreichen Chatbot dauerhaft integrieren.

„Das Beispiel aus der Biotechnologie zeigt eindrucksvoll, welches Potenzial in spezialisierten KI-Chatbots für die Lehre steckt. Die gezielte Integration in bestimmten Phasen fördert eigenständiges, reflektiertes Lernen – ein Ansatz, von dem auch andere Fächer profitieren können.“

– Miriam Barnat, Leiterin des ZHQ

Der Fokus brachte den Erfolg

Im Unterschied zu unseren früheren Versionen wurde der nun integrierte Chatbot thematisch stark fokussiert – auf eine für Zweit- und Drittsemester in diesem Lehrformat besonders komplexe biochemische Methode: die SDS-Polyacrylamidgelelektrophorese (SDS-PAGE). Der Chatbot steht im Labor über ein iPad zur Verfügung, oder kann in der Vorbereitung von zu Hause genutzt werden. Eine KI-Einführung erhalten die Studierenden unmittelbar vor den ersten Praktikumstagen im Seminar zur individuellen Projektplanung. Ziel des Einsatz der KI war es, Studierende dort zu unterstützen, wo Unsicherheiten zu Planung, Durchführung oder später der Auswertung bestehen – ohne die Rolle der betreuenden Personen zu ersetzen. Der Chatbot wurde im Rahmen eines hochschuldidaktischen Entwicklungsprojekts aufgebaut, das eng mit dem ZHQ abgestimmt war. Miriam Barnat, Leiterin des ZHQ, begleitete die Konzeption und Evaluation von Anfang an kritisch-reflexiv mit – sie war Mitautorin der wissenschaftlichen Veröffentlichung und brachte die hochschuldidaktische Perspektive in das Projekt ein. Gleichzeitig wurde das KI-System fachdidaktisch und inhaltlich tief verankert durch die Zusammenarbeit mit Prof. Dr. Jost Seibler, Professor für Biochemie und Leiter des Biochemie-Praktikums. Seine Rolle war zentral für die fachliche Fundierung des KI-Einsatzes und für die Evaluation im Laborkontext.

Was hat funktioniert? Drei zentrale Wirkungen im Überblick

1. Konkrete Unterstützung bei einer komplexen Labormethode

Die SDS-PAGE ist methodisch fordernd, insbesondere wenn das Forschungsdesign selbst aufgebaut werden muss. Der Chatbot ermöglichte eine niederschwellige Nachfrage – bei der Planung und Design des Versuchs, was z.B. Kontrollen inkludiert.  Die Antworten der KI sind methodennah, präzise und durch den Zugriff auf die hinterlegte Wissensdatenbank auch didaktisch und fachlich relevant und üblicherweise korrekt.

2. Lernförderliche Rückfragen und KI-Kompetenz

Der Chatbot reagiert auf unklare oder zu breite Prompts nicht mit Halluzinationen – sondern mit Rückfragen („Was genau möchtest du analysieren?“). Dadurch werden Studierende ermutigt, ihre Anliegen präziser zu formulieren und ihre Gedanken zu schärfen. Genau darin liegt ein didaktischer Mehrwert, den klassische FAQ- oder Wiki-Systeme nicht leisten können. Gleichzeitig lernen die Studierenden, wie sie Prompts wirksam und zielführend formulieren. Ein schöner Nebeneffekt: Die Studierenden klärten dabei auch ihre (fachliche) Kommunikation – sowohl im Team als auch im Gespräch mit mir als Lehrperson. Viele formulierten ihre Fragen präziser, dachten ihre Argumente klarer zu Ende und hinterfragten eigene Annahmen. Im Anschluss an die Nutzung der KI besprachen wir immer gemeinsam die Ergebnisse und mögliche neue Forschungsansätze. Dabei ging es nicht nur um Inhalte, sondern auch darum, die Antworten der KI kritisch zu prüfen: Was stimmt und kann vielleicht weitergedacht werden? Was fehlt? Wo denkt die KI zu einfach oder sogar in die falsche Richtung?

3. Hohe Akzeptanz durch klare Grenzen

Anders als bei unseren früheren, allgemeiner gehaltenen Chatbots, wurde dieser KI-Chatbot von Studierenden als hilfreich wahrgenommen. Sie wussten auch: Für wichtige Entscheidungen oder sicherheitsrelevante Fragen ist das Laborpersonal zuständig. Aber für (kleine) fachliche Nachfragen oder Anregungen „taugt“ der Chatbot und liefert sehr gute Ergebnisse. Das stärkte die Eigenständigkeit der Studierenden.

„Die Resonanz der Studierenden war durchweg positiv. Der Chatbot hat nicht nur Fragen beantwortet, sondern sie durch Rückfragen dazu gebracht, ihr Vorgehen bewusster zu reflektieren. So haben wir erlebt, wie die Studierenden im Labor eigenständiger und kritischer gearbeitet haben.“


– Prof. Dr. Jost Seibler, Professor für Biochemie im Fachbereich Chemie und Biotechnologie

Lessons Learned für andere Fachgebiete

Auch außerhalb der biotechnologischen Praktika lassen sich diese Erfahrungen übertragen.

  1. Fokussierung wirkt: Je spezialisierter der Chatbot auf ein konkretes Themenfeld, desto hilfreicher sind seine Antworten.
  2. Rückfragen fördern Denken: Wenn die KI Rückfragen stellt, entsteht ein Lernprozess – ganz ohne Belehrung.
  3. Kontext und Einbettung vor Technik: Nicht die Technik steht im Vordergrund, sondern die didaktische Einbettung – z. B. in ein Seminar zur Projektplanung.
  4. Prompt-Kompetenz ist lehrbar: Studierende lernen durch die Nutzung, wie sie ihre Fragen besser formulieren – das stärkt neben Fach-, auch KI-Kompetenz.
  5. Niederschwelliger Zugang: Die Nutzung über ein iPad im Labor senkt technische Hürden.
  6. Didaktische Verankerung und begleitete Reflexion: Die Studierenden entwarfen zunächst ihren methodischen Ablauf und nutzten die KI anschließend zur Klärung oder Ergänzung. Im Anschluss wurden die Chatbot-Antworten gemeinsam mit der Lehrperson diskutiert – fachlich eingeordnet und kritisch hinterfragt. Dieser Schritt war entscheidend, um fachliches Lernen mit KI-Urteilskompetenz zu verknüpfen – und um der Versuchung zu widerstehen, Antworten unreflektiert zu übernehmen.

Übertragbarer Vorschlag für die Lehre mit offenen Problemstellungen

Die folgende Grafik basiert auf unseren Erfahrungen und stellt ein dreistufiges Modell dar, das wir gemeinsam erarbeitet und evaluiert haben. Es ist unser Vorschlag für die didaktisch fundierte Integration generativer KI in Lehrformate mit offenen Problemstellungen.

Das Modell umfasst drei aufeinander aufbauende Phasen:

(1) den gezielten Kompetenzaufbau vor dem Praktikum, z. B. durch Einführung in die Funktionsweise von KI, Prompt-Training und kritisches Hinterfragen,

(2) die eigenständige Nutzung der spezialisierten KI durch die Studierenden zur Bearbeitung eigener Fragestellungen sowie

(3) eine abschließende Reflexionsphase mit dem Lehrpersonal, in der die Ergebnisse eingeordnet und diskutiert werden.

Unsere Empfehlung: Dieses strukturierte Vorgehen schafft Orientierung, fördert wissenschaftliches Denken und lässt sich in vielen Disziplinen adaptieren.

Fazit: KI als reflektierende Assistenz

Forschendes Lernen lebt von Selbstständigkeit, Unsicherheit und Exploration – das ist zugleich herausfordernd und produktiv. Ein gut gestalteter KI-Chatbot kann hier Brücken bauen: Er hilft bei Unsicherheiten, ohne vorwegzunehmen. Er fördert Reflexion durch Rückfragen. Und er begleitet Studierende in Phasen, in denen Betreuende nicht permanent präsent sein können. Das Vorgehen lässt sich auf viele Fächer übertragen – überall dort, wo komplexe Methoden, selbstständiges Arbeiten und offene Fragestellungen eine Rolle spielen.

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Christoph Horst
Beiträge

> Koordination Digitalisierungsoffensive Lehren & Lernen der FH Aachen
> Fachlehrender im Fachbereich Chemie und Biotechnologie

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