40 Jahre Erstsemesterprojekt an der FH Aachen: Multiplikator:innen-Schulungen und Peer-Learning

Peer-Learning als Schlüssel für nachhaltige Lehre und Vernetzung

Seit vier Jahrzehnten verfolgt die FH Aachen mit ihrem Erstsemesterprojekt einen innovativen Ansatz zur Unterstützung von Studienanfänger:innen. Seit 2013 basiert das Projekt auf Peer-Learning als zentraler Methode der Ausbildung, um Studierende auf Augenhöhe in ihre neue akademische Umgebung zu integrieren. Erfahrene Studierende werden als Erstsemestertutor:innen qualifiziert und übernehmen eine zentrale Rolle im Wissenstransfer, der sozialen Vernetzung und der Förderung eigenständigen Lernens. Wissenschaftliche Studien zeigen, dass Peer-Learning nicht nur zur Verbesserung der akademischen Leistung beiträgt, sondern auch soziale Bindungen stärkt und die Entwicklung überfachlicher Kompetenzen fördert (Duran, 2017; Micari & Pazos, 2016).

Ein wesentlicher Mehrwert des Erstsemesterprojekts liegt in der gezielten Förderung von Austausch und Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Semestern. Tutor:innen agieren dabei nicht nur als fachliche Unterstützung, sondern auch als Mentor:innen, die den Studienanfänger:innen den Einstieg erleichtern und sie in die Hochschulstrukturen einführen. Diese Form des Wissenstransfers erhöht die Integration und verringert Studienabbrüche. Dawson et al. (2020) zeigen in einer Metaanalyse, dass Peer-Interaktion die kognitive Verarbeitung signifikant verbessert. Insbesondere durch aktives Erklären und Diskutieren entstehen nachhaltige Lernprozesse, die sich positiv auf den akademischen Erfolg auswirken. Gleichzeitig trägt Peer-Learning dazu bei, dass Studierende durch den Aufbau sozialer Netzwerke langfristig Unterstützung finden, was sich besonders in den ersten Semestern als förderlich erweist (Yu & Martin, 2021).

Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die Schulung der Tutor:innen, die selbst durch Peer-Learning erfolgt. In strukturierten Ausbildungsprogrammen erwerben sie methodische und didaktische Grundlagen, Kommunikationsstrategien und Kenntnisse über Gruppendynamiken. Diese Schulungen bereiten sie darauf vor, ihre Erfahrungen verständlich und aktivierend zu vermitteln. Gleichzeitig entwickeln sie Schlüsselkompetenzen wie Konfliktmanagement, Empathie und Moderationsfähigkeiten, die in Studium und Beruf von hoher Relevanz sind (Sloane & Holmes, 2017). Die kontinuierliche Reflexion über die eigene Tätigkeit fördert zudem metakognitive Fähigkeiten, die auch das eigene Lernen optimieren. Yu et al. (2020) weisen darauf hin, dass Studierende, die als Tutor:innen agieren, eine gesteigerte Selbstwirksamkeit und ein höheres Vertrauen in ihre eigenen Fähigkeiten entwickeln.

Netzwerkbildung durch Peer-Learning

Neben der Ausbildung trägt das Erstsemesterprojekt zur temporären Netzwerkbildung innerhalb der Hochschule bei. Peer-Learning fungiert hier nicht nur als didaktisches Werkzeug, sondern als soziale Strategie, die den Aufbau von Kontakten und den fachlichen Austausch zwischen verschiedenen Jahrgängen ermöglicht. So erleichtert das Peer-Learning den Erstsemesterstudierenden den Einstieg ins Studium und fördert den Austausch während der Anfangsphase. Diese Verbindungen erleichtern die interdisziplinäre Zusammenarbeit und fördern den Wissenstransfer innerhalb der Hochschule. Laut der sozialen Netzwerktheorie (Brown & Duguid, 2017) sind insbesondere schwache Bindungen innerhalb eines Netzwerks entscheidend für die Verbreitung von Wissen und Ressourcen. Strukturiertes Peer-Learning trägt somit nicht nur zur akademischen Leistung, sondern auch zur persönlichen und beruflichen Entwicklung der Studierenden bei.

Die Vorteile von Peer-Learning als Ausbildungsmodell sind klar erkennbar: Es ermöglicht eine aktive Einbindung der Studierenden in den Lernprozess, stärkt die soziale Vernetzung und fördert die Entwicklung von Schlüsselkompetenzen. Langfristig profitieren nicht nur die Erstsemesterstudierenden, sondern auch die Tutor:innen und Lehrenden, da das Modell eine Brücke zwischen formaler Hochschullehre und informellem Lernen schlägt. Künftige Entwicklungen könnten eine stärkere Verzahnung mit digitalen Lehrformaten und interdisziplinären Kooperationen beinhalten, um die Potenziale des Programms weiter auszubauen (Zhao & Ward, 2019). Ein gezielter Ausbau der digitalen Begleitung von Peer-Learning-Initiativen könnte dazu beitragen, die Skalierbarkeit und Reichweite des Programms weiter zu optimieren und für eine breitere Zielgruppe zugänglich zu machen.

Literaturverzeichnis

  • Brown, J. S., & Duguid, P. (2017). The social life of information (Updated edition). Harvard Business Review Press.
  • Dawson, P., van der Meer, J., Skalicky, J., & Cowley, K. (2020). On the effectiveness of peer-assisted learning in higher education: A best-evidence synthesis. Review of Educational Research, 90(2), 495-536.
  • Duran, D. (2017). Learning-by-teaching: Evidence and implications as a pedagogical approach. Springer.
  • Li, J., & Baker, L. M. (2020). The role of peer networks in academic success: A social capital perspective. Journal of Higher Education Research & Development, 39(4), 520-538.
  • Micari, M., & Pazos, P. (2016). Peer mentor characteristics and mentee outcomes in a college science course. CBE—Life Sciences Education, 15(3), 482-490.
  • Sloane, T., & Holmes, A. (2017). Enhancing metacognitive skills through peer tutoring: An analysis of tutor training programs. Journal of Educational Psychology, 109(5), 787-799.
  • Yu, L., & Martin, T. (2021). Peer mentoring and academic success: A longitudinal study of first-year university students. Higher Education Research & Development, 40(6), 1015-1032.
  • Yu, Q., Sutherland, J., & Wang, C. (2020). Peer tutor training in higher education: A systematic review of program effectiveness. Journal of Learning and Teaching, 39(4), 605-622.
  • Zhao, Y., & Ward, L. (2019). Digital peer learning and student engagement: A systematic literature review. Computers in Human Behavior, 98, 248-259.

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Peter Schreiber
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