Ein Interview mit Prof. Dr. Wibke Hermerschmidt
Wibke Hermerschmidt ist seit knapp 2 Jahren Professorin für Baustoffkunde und Nachhaltiges Bauen am Fachbereich Bauingenieurwesen. In einem Interview erzählt sie uns mehr über ihre Arbeit an der FH Aachen und was es bedeutet, das Thema Nachhaltigkeit in die Lehre einzubringen.
Erzählen Sie uns doch etwas über Ihren Werdegang. Und welche Bereiche umfasst Ihre Lehre an der FH?
Hermerschmidt: Ich habe selbst Bauingenieurwesen studiert und anschließend im Bereich der Baustofftechnologie promoviert. Nach einer mehrjährigen Tätigkeit in der Zement- und Betonindustrie bin ich 2021 an die FH Aachen berufen worden. Meine Lehrveranstaltungen umfassen sowohl Grundlagenfächer im Bachelorstudium als auch die Spezialisierung im Bereich Nachhaltiges Bauen im Masterstudium. Des Weiteren leite ich unser Baustofflabor, in dem wir Laborpraktika und studentische Projekte wie Abschlussarbeiten durchführen und aktuell dabei sind, die anwendungsorientierte Forschung an nachhaltigen Baustoffen und Baukonstruktionen weiter auszubauen.
Was ist Ihrer Meinung nach das Interessanteste an Ihrer Arbeit?
Hermerschmidt: Die stetige Weiterentwicklung bzw. der Wandel von Technik, Politik und Gesellschaft führt dazu, dass auch die Lehre stetig neue Impulse erhält. Wenn man das im Blick behält, werden selbst klassische Grundlagenfächer wie Baustoffkunde niemals langweilig und man hat als Lehrende die Gelegenheit, selbst stetig dazuzulernen, was ich als großes Privileg empfinde.
Ihr Bezug zum Thema Nachhaltigkeit
Der Begriff „Nachhaltigkeit“ wird heutzutage sehr inflationär verwendet. Was verstehen Sie darunter?
Hermerschmidt: Nachhaltigkeit bedeutet für mich, unser Handeln so zu gestalten, dass nachfolgende Generationen in einer intakten Umwelt mit mindestens genauso großem Wohlstand wie wir aktuell leben können. Dabei ist mir wichtig zu betonen, dass Nachhaltigkeit sich nicht ausschließlich auf ökologische Aspekte bezieht. Seit Beginn der 1990er Jahre beziehen sich die Strategien der Vereinten Nationen für Nachhaltige Entwicklung auf die drei Säulen Ökologie, Ökonomie und Soziokulturelles. Umweltschutz um jeden Preis ist somit nicht nachhaltig, sondern muss in Verbindung mit wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit betrachtet werden.
Welchen Bezug haben Sie zum Thema Nachhaltigkeit?
Hermerschmidt: Das Thema der Ressourceneffizienz und des Klimaschutzes bei der Baustoffherstellung und -anwendung beschäftigt mich bereits seit dem Abschluss meines Studiums. Als Doktorandin hatte ich die Gelegenheit, an Forschungsprojekten mitzuarbeiten, deren Schwerpunkt die Reduktion der CO2-Emissionen bei der Produktion von Zement und Beton war. Diesen Arbeitsschwerpunkt konnte ich auch während meiner Tätigkeit beim VDZ (Verband und Forschungsinstitut der Zementindustrie) beibehalten. Unter anderem habe ich dort an nationalen und internationalen Strategien zum Erreichen einer klimaneutralen Zement- und Betonproduktion bis 2050 mitgearbeitet.
Welche Perspektiven zeigen Sie Ihren Studierenden (und vielleicht auch anderen Lehrenden) mit Fokus auf nachhaltigkeitsbezogener Lehre auf?
Hermerschmidt: Das Bauwesen hat sowohl deutschlandweit als auch international betrachtet einen hohen Anteil am Ressourcenverbrauch und der Emission von Treibhausgasen. Es gibt in diesem Bereich also noch einiges zu tun. Dies bedeutet auf der anderen Seite auch, dass die Studierenden mit ihrer künftigen Tätigkeit viel bewirken können. Man kann spüren, dass diese Perspektive viele Studierende motiviert. Das Thema Nachhaltigkeit ist komplex, weil viele Aspekte gleichzeitig betrachtet werden müssen. Dies bedingt auch, dass in meinen Lehrveranstaltungen ab und an Themen behandelt werden, die über die eigene Fachrichtung hinausgehen, z. B. Aspekte der Verfahrenstechnik bei der Baustoffproduktion. Man merkt dennoch ein großes Interesse bei den Studierenden, was meiner Meinung nach viel damit zu tun hat, dass ihnen die große Bedeutung der Themen bewusst ist.
Welche Methoden verwenden Sie hierbei?
Hermerschmidt: In den Grundlagenveranstaltungen des Bachelorstudiums geht es viel um die Vermittlung von Basiswissen, wobei ich versuche, dies durch die Verbindung zu aktuellen Entwicklungen und Pilotprojekten greifbar zu machen.
Im Masterstudium versuche ich den Fokus auf das eigenständige Erarbeiten von Zusammenhängen zu legen und dabei genug Raum für Diskussionen und kritisches Hinterfragen zu lassen. Neben klassischen Lehrunterlagen setze ich dabei gerne auch mal Medien wie Podcasts und Ted Talks ein.
Ein Ausblick
Gibt es Ihrer Meinung nach Herausforderungen oder Grenzen für die nachhaltigkeitsbezogene Lehre?
Hermerschmidt: Die ingenieurwissenschaftlichen Studiengänge benötigen auch weiterhin eine umfassende Grundlagenausbildung mit mathematisch-naturwissenschaftlichem Fokus. Entsprechend gering ist der Raum für neue Themen. Umso wichtiger ist es daher, dass Lehrende sich gut untereinander abstimmen und Nachhaltigkeitsaspekte in bestehende Lehrveranstaltungen mit aufnehmen.
Was glauben Sie, ist in Bezug auf Ihr Modul „Nachhaltiges Bauen“ noch zu tun? Was würden Sie gerne noch verwirklichen?
Hermerschmidt: Das Modul ist als Pflichtmodul im Masterstudiengang Facility Management gestartet. Da dies ein recht kleiner Studiengang ist, war die Anzahl der Teilnehmer:innen bisher entsprechend überschaubar. Mit der Öffnung des Moduls als Wahlmodul im Masterstudiengang Bauingenieurwesen erreichen wir ab dem kommenden Semester hoffentlich eine größere Zahl an Studierenden. Auf lange Sicht würde ich gerne von der klassischen Struktur mit Vorlesungen, Übungen und schriftlicher Prüfung mehr zu Projektarbeiten übergehen, um einen noch besseren Praxisbezug zu ermöglichen.
Wir bedanken uns für das angenehme Interview mit Prof. Dr. Hermerschmidt und die Einblicke in Ihre Arbeit. Zukünftig werden weitere Beiträge zum Thema „Nachhaltigkeit in der Lehre“ folgen.