Mündliche Prüfungen haben Vorteile gegenüber anderen Prüfungsformen – sie lassen sich flexibel an die Situation und die Leistung des Prüflings anpassen. Die Studierenden können bei Verständnisschwierigkeiten und Missverständnissen nachfragen. Umgekehrt können Lehrende ebenfalls Missverständnisse ansprechen und erneut fragen, falls die Antwort eine nicht vorgesehene Zielrichtung oder Lücken hat.
Doch der Aufbau und die Bewertung von mündlichen Prüfungen fällt verständlicherweise vielen schwerer als bei einer Klausur. Wie gehe ich als Prüfende:r vor? Wie bewerte ich Situationen, die keinem festen Muster folgen?
Planung einer mündlichen Prüfung
Da die Studierenden die Möglichkeit haben, sich zwischen den Prüfungen untereinander auszutauschen, kann eine mündliche Prüfung nicht immer die gleichen Fragen beinhalten. Ein vorab erstellter Fragenkatalog kann hilfreich sein. Die Fragen sollten nicht alle das gleiche leichte oder schwere Schwierigkeitsniveau behandeln, sondern im Schwierigkeitsgrad variieren. Um dies zu erreichen und die spätere Bewertung zu erleichtern, können die Fragen von den Lehrenden entsprechend sortiert werden. Dabei können die Stufen einer Lernzieltaxonomie Orientierung geben:
Taxonomiestufe | Beispielfrage |
---|---|
Wissen /Reproduktion | Was ist eine schiefe Ebene? |
Verstehen /Reorganisation | Ist der Mittelwert der Verteilung größer oder kleiner als …? |
Anwenden | Berechnen Sie Mittelwert, Modus und Varianz! |
Analysieren | Begründen Sie, welches Produkt Sie in Ihr Portfolio aufnehmen würden? |
Synthese /Erschaffen | Stellen Sie ein Modell vor für… |
Bewerten | Gegeben sind folgende Verteilungen. Welche Verteilungsmaße berechnen Sie für welchen Fall und weshalb? |
Ob nur einige oder alle Taxonomiestufen Gegenstand der Prüfung sind, hängt von der Taxonomiestufe der Lernziele dieser Lehrveranstaltung ab. Hat die Veranstaltung oder das Modul z.B. ein Lernziel auf der Stufe „Analysieren“, können Fragen zu „Wissen“, „Verstehen“, „Anwenden“ und „Analysieren“ in die Prüfung einfließen. „Erschaffen“ und „Bewerten“ hingegen sind dann kein Teil der Prüfung.
In der Prüfungssituation kann es hilfreich sind, mit „leichteren” Fragen aus den Taxonomiestufen „Wissen” und „Verstehen” zu beginnen. So kann eine bestärkende Atmosphäre entstehen und die Lehrenden können sich mit den Fragen langsam an die schwierigeren Fragen herantasten.
Damit sich die Studierenden gezielt auf die Prüfung vorbereiten können, ist es wichtig, dass die Lernziele transparent sind. Hier gilt: Mehrfaches Wiederholen ist erwünscht. Die Studierenden können auch nach den Lernzielen und Lerninhalten gefragt werden, indem man sie z.B. potenzielle Prüfungsaufgaben entwerfen lässt.
Statt eines reinen Prüfungsgesprächs ist es möglich, dass die Studierenden vorab eine Aufgabe erarbeiten und ihre Ergebnisse im Laufe der Prüfung vorstellen. Die Studierenden können z.B. einen Prozess darstellen. Wenn die Aufgabe vorab erteilt wird, ist es wichtig, dass die Studierenden wissen, welche Kriterien bei der Bewertung maßgeblich sind und ob Präsentationssoftware hinzugezogen werden kann. Die Präsentation dient dann als Grundlage für das anschließende Prüfungsgespräch, das natürlich auch andere Lernziele behandeln kann als solche, die in der Präsentation thematisiert worden sind.
Eine Aufgabenstellung kann auch im Verlauf einer Prüfung vergeben werden: Zu Beginn erhält der Prüfling die Aufgabe, ein zentrales Lernziel des Moduls zu erläutern. Dies kann mündlich und anhand von z.B. Zeichnungen auf dem (digitalen) Whiteboard erfolgen und dient als Ausgangspunkt für die folgenden Fragen. Ein Vorteil dabei ist, dass der Prüfling selbst ein Thema wählen kann. Die Prüfenden können dann durch anschließendes Nachfragen sicherstellen, dass das Thema tiefergehend verstanden wurde. Zudem können Fragen zu anderen Lernzielen im anschließenden Prüfungsgespräch folgen.
Bewertung einer mündlichen Prüfung – Beispiel für ein Bewertungsraster
Die Taxonomiestufen haben wiederum Einfluss auf die Bewertung der Prüfung. Je höher die Taxonomiestufe der Frage, desto größer ist ihr Einfluss auf die Benotung. Ein mögliches Bewertungsraster für mündliche Prüfungen hat Roloff (2012) zur Verfügung gestellt. In dem Raster haben die Taxonomiestufen wie „Anwendung, Analyse“ sowie „Synthese und Bewertung“ eine höhere Gewichtung als z.B. die Taxonomiestufe „Reproduktion von Wissen“. Roloff integriert neben den fachlichen Kompetenzen zudem personale Kompetenzen in die mündliche Prüfung, wie „logische Gedankenführung“. Beim Einbezug personaler Kompetenzen sollte bedacht werden, inwiefern sie auch Teil der Prüfungsvorbereitung gewesen sind. Die gestellten Fragen werden den fachlichen Kompetenzen zugeordnet.
Quelle: Roloff, Sighard 2012: Mündliche Prüfungen. hochschuldidaktik.net Letzter Zugriff: 11.10.2022.
Christiane Katz
Hochschuldidaktikerin mit Erfahrung in der Lehre und Begleitung von Studierenden | seit 2010 an Hochschulen | seit 2016 an der wunderbaren FH Aachen
2 Kommentare
Sehr geehrte Kolleg:innen,
Ich bin sehr interessiert am kompetenzorientierten Beurteilungsraster mündlicher Prüfungen von Roloff (2012). Leider funktioniert aber der im Blog angegebene Link nicht (mehr). Müsste man denn bei jedem Kriterium eine „Note“ (Prädikat) vergeben und anschl. die gesamthafte Beurteilung berechnen? Die konkrete, rechnerisch unkomplizierte Handhabung interessiert mich – ist mir aber noch nicht ersichtlich, wenn ich nur das Ratser betrachte… Ich müsste ja quasi während dem Zuhören schnell ankreuzen können… und die Note später, in Ruhe ausrechnen – oder?
Danke für die Erklärungen…
Mit freundlichen Grüssen
C. Svaton
Liebe Frau Svaton,
vielen Dank für Ihren Kommentar und die Frage.
Die Verlinkung zu dem Dokument ist inzwischen aktualisiert. Auf Seite 23 beschreibt Roloff kurz, wie das Bewertungsraster sinnvoll genutzt werden kann.
Das von Roloff vorgeschlagene Bewertungsraster ermöglicht eine analytische Bewertung der Prüfungsleistung. Wird dieser Bewertungsmodus angewendet, werden die Erwartungsniveaus in einzelne Kriterien zergliedert und Gewichtungen definiert. Die Bewertung der Prüfungsleistung erfolgt dann anhand dieser Kriterien, indem kurz Punkte bzw. Noten zugewiesen werden. Gleichzeitig werden kurze Notizen zu den Antworten und zum Antwortverhalten der Studierenden gemacht. Im Nachgang der Prüfung kann die Leistung anhand dieser und der Gewichtung noch einmal in Ruhe reflektiert bzw. mit Beisitzer:innen besprochen werden, so dass es zu einer objektiveren Notenvergabe kommt. Auch wenn die Bewertung bei diesem Vorgehen etwas länger dauert, liegt der große Vorteil darin, dass die Gesamtleistung der Studierenden differenzierter beurteilt und ein detaillierteres Feedback gegeben werden.
Ergänzend ist zu bemerken, dass Bewertungsraster auch für den holistischen Bewertungsmodus genutzt werden können. Hier wird der Gesamteindruck der Prüfung anhand der vorher festgelegten und im Raster festgehaltenen Erwartungsniveaus bewertet. Bei diesem Vorgehen werden neben den Notizen zum Prüfungsverlauf, die individuellen Eindrücke meist mit einem Plus, Minus oder kurzen Notizen für gute oder weniger gute Antworten kommentiert. Diese Art der Bewertung Erfolg meist schneller und einfacher, unterliegt jedoch auch größeren subjektiven Schwankungen.
Viele Grüße,
Mandy Willert-Hack (ZHQ)