Sprach KIs – Wie in die Lehre einbringen?

Erste Erfahrungen und einen Überblick zum Einsatz in der Lehrlandschaft.

Dieser Artikel besteht aus zwei Teilen. Zum einen berichte ich über die ersten eigenen Erfahrungen, in der ich ChatGPT in ein eigenes Seminar eingebaut habe. Weiter unten befinden sich aktuelle Informationen über die Verwendung dieser disruptiven Technologie in der Lehre. Mathematiker, die ChatGPT austesten, über Experten und Expertinnen, Frameworks, Lernmaterial und weiteren bereits nutzbaren Sprach-KIs.

Tipp: Am 02.02. findet ein Online-Barcamp zu Sprach-KIs in der Lehre statt!

Der Einbau von ChatGPT in das eigene Seminar

Als Referent für die Digitalisierung in der Lehre musste ich die neuen Möglichkeiten durch ChatGPT in meiner eigenen Lehre ausprobieren. Besonders gut geeignet ist dafür das Seminar zum wissenschaftlichen Arbeiten in der Biotechnologie, in dem ich gemeinsam mit Prof. Dr. Jost Seibler die Studierenden bei der Entwicklung entsprechender Kompetenzen begleite.

In diesem Seminar haben die Studierenden des dritten Semesters die Aufgabe, je in Teams à zwei Personen für eine fünfwöchige Praxiszeit eine eigene Forschungsfrage zu entwickeln. Diese müssen an die anschließenden und zusammenhängenden Praktika durchgeplant werden. Dazu sind das Vorgehen sowie die fachlichen Grundlagen mit Literatur zu belegen und in einem kleinen Essay schriftlich auszuarbeiten. Jeder, der sich zu einer neuen Forschungsfrage fundiertes Wissen aneignen möchte, weiß, wie viel Zeit und Anstrengung das kosten kann.

Im letzten Teil des Seminars sollten die 20 Studierenden also offene fachliche und methodische Fragen per Literaturrecherche in Fachdatenbanken noch vor Ort aufarbeiten. Zu dem Zeitpunkt kannte noch keiner der anwesenden Studierenden ChatGPT oder hatte damit Erfahrung gesammelt.

Gemeinsam an einer Forschungsfrage

Mein Ziel war es, die Vor- und Nachteile von Sprach-KIs im Zusammenhang von wissenschaftlichem Arbeiten den Studierenden klarzumachen. Sprach-KIs können diese Arbeit unterstützen, es können sich jedoch auch Fehler einschleichen, die man aufgrund des souveränen Ausdrucks der KI nicht wahrnimmt. Wir wählten dazu die Forschungsfrage eines Teams aus,

Wie verändern sich die Proteinstrukturen in industriell verarbeiteter Milch durch den Pasteurisierungs- oder Mikrofiltervorgang?

Wie üblich leiten sich aus der Forschungsfrage eine Vielzahl weiterer Fragen ab, die nur mit fachlichem Wissen zu beantworten sind. Um dieses Beispiel zu bearbeiten und einen guten methodischen Untersuchungsprozess zu entwickeln, müssen sich Forschende weitere Fragen erarbeiten.

Zu unserer Beispielfragestellung ergeben sich z. B. folgende Leitfragen: Was sind Proteine? Welche typischen Proteine und wie viele sind in der Milch? Wie wird Milch industriell typischerweise verarbeitet? Was macht Temperatur oder Filtration mit Proteinen?

Bei der Aufarbeitung dieser Leitfragen sind Suchmaschinen wie Google nur bedingt hilfreich, da sie Antworten in dieser Tiefe nicht liefern können.

Ziel dieses Seminars ist es jedoch fundiertere Erkenntnisse zu erlangen, wozu intensive und mühevolle Recherchearbeit in Fachdatenbanken und vonnöten ist – oder aber man nutzt ChatGPT!

ChatGPT als fachliches Hilfsmittel?

Mit den Studierenden haben wir gemeinsam Fragen aus niedrigeren Taxonomiestufen formuliert (z.B. „Welche Proteine befinden sich hauptsächlich in der Milch?“) und durch ChatGPT beantworten lassen. Hier stieß ich auf offene Münder der Studierenden. Sie freuten sich bereits darüber, dass Sie das Essay Ihrer Arbeit nicht mehr selbst schreiben müssen – das löst auch in mir gemischte Gefühle aus. Bin ich ab jetzt überflüssig? Werde ich in Zukunft nur noch KI-generierte Texte lesen und korrigieren?

Bereits bei diesem ersten Studierenden-Maschine-Kontakt spüre ich die künftig nachlassende Bereitschaft eigener Denk- und Schreibprozesse unter den Studierenden.

Die souveräne Darstellung der textbasierten Ergebnisse lassen einen bei der ersten Nutzung noch erstaunen. Die beteiligten Studierenden konnten mit ihrem im 3. Semester erlernten Fachwissen schnell überprüfen, ob die Antwort korrekt ist (sie war korrekt). Was passiert allerdings mit Fragen, die tieferen Transfer benötigen? Was ist, wenn die Frage eine höhere Taxonomiestufe bedient? Wo liegen die Grenzen der Sprach-KI und wie vermittelt man diese?

ChatGPT vs. Literaturrecherche: Die Entzauberung der KI

Auf der gemeinsamen Suche nach Fehlern, die die KI machen könnte, wollten wir wissen, ob „das im Milch präsenteste Protein Casein beim Pasteurisierungsvorgang denaturiert [sich verändert]?“.

Die Antwort von ChatGPT war „Nein“ mit einer anhängenden ausführlichen und für die ansässigen Studierenden (für mich übrigens auch) glaubhaften Erläuterung.

Zeitgleich machte eine Studentin in einer für sie neuen Fachdatenbank einen Fund. Das Paper arbeitete sie mühselig durch und fand ein Detail in den Ergebnissen, dass der Antwort von ChatGPT widersprach. Untersuchungen des Papers zeigen glaubhaft, dass das Protein Casein zum Teil denaturiert.

Die durch die KI generierte glaubhaft wirkende Aussage entsprach nicht der Wahrheit.

Die Entzauberung war etwas mühselig, aber gelang dann doch.

Ich leite daraus ab, dass uns in der Hochschullehre eine neue Herausforderung bevorsteht – und zwar in allen Fächern: Der souveräne Umgang mit Sprach-KIs. Unsere (zukünftigen) Absolventinnen und Absolventen werden in einer Arbeitswelt groß, bei der Sprach-KIs einen Teil der gedanklichen Leistung übernehmen werden. Warum sollte man sich in der Lehre also nicht mit diesen hilfreichen Tools auseinandersetzen?

ChatGPT ist nur die Spitze des Eisbergs

Nicht nur, dass die Entwicklung der Sprach-KIs exponentiell weiter steigt, es zeigt sich aktuell eine Vielzahl an neuartigen Tool.
Anders als die Schulen in New York, sieht der deutsche Lehrerverband Notwendigkeit, Sprach-KIs in den Schulen zu thematisieren. Was davon bei uns in der Hochschule ankommt, bleibt abzuwarten.

Unsere Empfehlung: Online-Barcamp zu künstlicher Intelligenz in der Bildung am 02. Februar 2023. Anmeldung kostenfrei und unverbindlich.

ChatGPT als kognitives Werkzeug – Wie können wir bei Studierenden den Erwerb von ‚higher order skills‘ fördern?
Interaktiver Workshop mit Prof. Dr. Christian Spannagel, Professor für Mathematik und ihre Didaktik mit Schwerpunkt Informatik und Implementierung neuer Medien.

Hier finden Sie eine Sammlung von interessanten Links, in denen sich Experten und Expertinnen mit ChatGPT im Hochschulbereich auseinandergesetzt haben.

Kommentierte Linksammlung zu ChatGPT in der Lehre des Hochschulforums Digitalisierung

Weitere KI-Tools mit Lehrbezug

DeepL Write – Neben Grammatik- und Rechtschreibkorrektur auch Umformulierung der Texte für einen besseren Ausdruck

Elicit – Method Deviser, schlägt abhängig einer Forschungsfrage wissenschaftliche Vorgehensweisen vor

QuestionAID – Erstellung gesamter Multiple Choice Fragen und sinnhaften (falschen) Antworten

Digital Research Assistant Tools: ResearchRabbit; Explainpaper; SciSpace

Lehrende zu ChatGPT

Erste praktische Ideen zum Umgang mit ChatGPT in Lehre und PrüfungDr. Simon Bartke der Uni Hamburg, und Übersicht zu ChatGPT im Kontext Hochschullehre (Uni Hamburg, 24.01.2023)

ChatGPT in der modernen Lehre von Prof. Dr. Doris Weßels als Leiterin der KI- und Academic Writing-Arbeitsgruppe der FH Kiel, u.a. erläutert Sie den Unterschied zu Unikaten und Strukturplagiaten mittels Sprach-KIs (Youtube, 21.12.2022)

Chat GPT: Das Ende der Hausarbeit? – Spannender Podcast mit Robert Lepenies, Präsident der Karlshochschule Karlsruhe und Doris Weßels, KI-Forscherin FH Kiel (SWR, 13.01.2023)

ChatGPT und die Mathematik – Mathematische Experimente mit einem Sprachmodell des Mathematikprofessors Prof. Dr. Edmund Weitz mit einem differenzierten Fazit (Youtube, 20.01.2023)

ChatGPT als Teilnehmer in kreativen Gruppendiskussionen – Robert Lepenies, Präsident der Karlsruher Karlshochschule (Heise, 16.01.2023)

Teaching Students to Write with AI: The SPACE Framework – Glenn Kleiman von der Stanford Graduate School of Education, bei der er sich mit dem Potenzial von KI zur Verbesserung von Lehren und Lernen befasst

ChatGPT ist erst der Anfang –  Prof. Dr. Doris Weßels, Margret Mundorf und Dr. Nicolaus Wilder über die Zukunft und den Einsatz generativer KI-Sprachmodelle für Bildungsprozesse (OER.NRW, 21.12.2022)

ChatGPT – Wettrüsten oder Wertewandel? – Gabi Reinmann, die u.a. für für eine neue Prüfungskultur einsteht (04.01.2023)

ChatGPT & Schule  – Beat Döbeli Honegger der pädagogischen Hochschule schwyz führt eine Einordnung in technische, gesellschaftliche und schulische Perspektiven durch (26.01.2023)

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Christoph Horst
Beiträge

> Koordination Digitalisierungsoffensive Lehren & Lernen der FH Aachen
> Fachlehrender im Fachbereich Chemie und Biotechnologie

3 Kommentare

Lieber Christoph, vielen Dank für diesen Einblick. Ich bin davon überzeugt, dass solche KI-Tools unsere (Arbeits-)Welt nachhaltig beeinflussen werden und dass wir uns über eine konstruktive Einbindung (in die Lehre) in allen Fachbereichen Gedanken machen müssen.

Ja, das sehe ich auch so. Nächste Woche wird hier daher der nächste Artikel (Podcast) mit einem Sprach-KI-erfahrenen Lehrenden aus der FH Aachen erscheinen. Er wird auch nochmal eine weitere Perspektive einbringen.

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