Was sollte digital bleiben, wenn Präsenzlehre wieder möglich ist?

Lehren mit digitalen Medien an Hochschulen

Die kurze Antwort: Die Möglichkeiten der asynchronen Lehre sollten eine größere Rolle spielen, allerdings nur, wenn sie didaktisch in die Veranstaltung eingebettet werden.

Die lange Antwort: Für Didaktiker:innen ist das eine etwas seltsame Frage, ist die Medienwahl doch jeweils eine der Variablen, die vor allem abhängig  von Lernergebnissen und Rahmenbedingungen für jede Veranstaltung definiert werden muss. Eine pauschale Antwort ist daher wenig sinnvoll. Für einen Vortrag, zu dem ich dieses Jahr eingeladen wurde, habe ich mich dennoch an einer Antwort versucht. Um das Ausmaß an Pauschalität zu reduzieren, habe ich zwei Unterscheidungen eingeführt: Zwei relativ gängige intendierte Lernergebnisse und zwei unterschiedliche Typen von Studierenden, um deren Heterogenität zumindest grundsätzlich zu berücksichtigen.

  1. Lernergebnisse: Ziel von Hochschulbildung ist immer, dass die Studierenden sich neues Wissen aneignen, es also mindestens wiedergeben können. Darum geht es vor allem in Vorlesungen. Zusätzlich haben Übungen oder Praktika sehr häufig auch das Ziel, dass Studierende Wissen anwenden können, z.B. in Form von mathematischen Rechnungen.
  2. Heterogenität: In Bezug auf das digitale Lehren und Lernen habe ich die Dimension Motivation/Lernverhalten herausgesucht, die zum Beispiel von Martens und Metzger 2016 analysiert wurde: Sie identifizieren hier fünf verschiedene Profile, von denen ich die beiden Pole herausgegriffen habe. Martens und Metzger (2016) finden einerseits selbstbestimmt motivierte Studierende, die laut Umfragen sehr gut mit der Lehre während Corona klar gekommen sind (zur Auswertung der Corona-Befragung an der FH Aachen). Um von dem Typenbegriff wegzukommen, nenne ich das Usecase 1. Auf der anderen Seite identifizieren sie auch Studierende mit vermeidendem Lernverhalten, mit einer hohen Ablenkungsneigung und Schwierigkeiten bei der Selbstorganisation. Es steht zu vermuten, dass dies die Studierenden sind, die berichten, dass sie während der pandemiebedingten Umstellung auf Distanzlehre große Schwierigkeiten hatten, weiter zu kommen. Dieses Profil ist Usecase 2.

In den Blick genommen habe ich drei mögliche Settings: synchrone Präsenzlehre, synchrone Distanzlehre und asynchrone Lehre.
Jedes dieser Settings habe ich in Beziehung zu den Lernergebnissen und den Usecases gesetzt und nach Forschungsergebnissen gesucht. Herausgekommen ist die folgende Tabelle, in der die jeweiligen Vor- und Nachteile aufgeführt sind.

Lernsettings, Lernergebnisse und unterschiedliches Lernverhalten von Studierenden

Klar wird, dass die verschiedenen Usecases unterschiedliche Bedürfnisse haben:
Während für selbstbestimmt motivierte Studierende die asynchronen Möglichkeiten besonders gut geeignet sind, ergeben sich hier Schwierigkeiten für die Studierenden mit vermeidendem Lernverhalten. Die Nachteile der mangelnden zeitlichen Festlegung kann aber auch für diese Studierenden aufgefangen werden, indem man eine Taktung einführt, z.B. durch Abgaben im Semester. Damit sind wir wieder am Anfang: Digitale Medien bieten für die Gestaltung der Selbstlernphasen sehr große Vorteile, so dass eine konzentrierte aktive Auseinandersetzung mit dem Stoff realisiert werden kann. Diese ist in Präsenzsettings oft schwierig umzusetzen, allein wegen der räumlichen Bedingungen. Zuhören ist im besten Falle der Anfang eines Lernprozesses. Selbst etwas zu tun, da geschieht das Lernen. Wenn Präsenzveranstaltungen das leisten können – super. Ansonsten erweitern digitale Medien im Sinne der Gestaltung von Lernprozessen den Handlungsraum für Lehre.

Tipp: Ebenfalls spannend zu hören: Online, blended, hybrid, Präsenz? Evidenzbasierte Erkenntnisse zur Gestaltung der (digitalen) Lehre von Mörth, Enders, Ulrich (2021) auf dem HFD-Festival.  

Martens, T.; Metzger, Ch. (2016): Different Transitions towards Learning at University: Exploring the Heterogeneity of Motivational Processes. In: E. Kyndt, V. Donche, K. Trigwell und S. Lindblom-Ylänne (Hg.): Higher Education Transitions: Theory and Research. London: Routledge (New Perspectives on Learning and Instruction). Online ver-fügbar unter urn:nbn:de:0111-pedocs-122960.

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Miriam Barnat
Prof. Dr. rer. pol. Miriam Barnat
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2 Kommentare

Schöne Gegenüberstellung. Danke auch für die damit verbundene Hypothese zu unseren (und anderen) Befragungsergebnissen.

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